Die Weiberfastnacht als Tag der Krawattenhersteller

Ein Herr im gepflegten Businesslook betritt ein Reisebüro. Die dort arbeitende Dame widmet sich dem Kunden, indem sie ohne Vorwarnung – schnipp, schnapp – seinen Schlips abschneidet. Und nun? Hat dieser Herr einen Anspruch auf Schadensersatz?

Das kommt tatsächlich darauf an, wo und wann der Schlips-Schnipps passierte. Falls er im Rheinland an Weiberfastnacht geschah, ist zu hoffen, dass der Herr nicht gerade seine wertvollste Krawatte trug. Denn dort gilt an diesem Tag das Tragen eines Schlipses zuallermeist als stillschweigende Einwilligung, dass der Schlips zerschnitten werden darf. (Wichtig: Es gibt aber keine „Unschulds-Garantie“ für die schneidende Person, letztendlich bleibt solch eine Sache eine Auslegungssache.) Um einen ungeliebten Schlips loszuwerden, könnte man sich also mit guter Erfolgschance an Weiberfastnacht beispielsweise in Köln, Düsseldorf oder Mainz im Karnevalstrubel aufhalten.

Anders sieht es an diesem Tag in anderen Regionen aus, dort würde der geschädigte Krawattenbesitzer wahrscheinlich erfolgreich (oder zum Teil erfolgreich) Schadensersatz verlangen können. Rheinländerinnen sei daher vorsichtshalber gesagt, dass z. B. in Norddeutschland Schlips-Schnippse auch an Weiberfastnacht nicht gebräuchlich sind und neben Unverständnis auch einen Ersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB (Eigentumsverletzung) nach sich ziehen könnten. Es wäre sogar eine Anzeige nach § 303 StGB (Sachbeschädigung) möglich. Ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung gemäß § 303c dürfte bei Abschneiden eines herkömmlichen Schlipses bei einer Alltagssituation hingegen kaum vorhanden sein. (Beispiel eines Urteils zum Schlipsabschneiden: AG Essen, Urteil vom 3. Februar 1988, Az. 20 C 691/87.)

Eine Überlieferung zum Ursprung der Weiberfastnacht


Auch als Nicht-Rheinländer haben Sie es schon geahnt bzw. gewusst – das Abschneiden der Krawatte ist ein Symbol für das Fortnehmen der männlichen Macht. Die meisten gehen weiter und sagen, es wäre ein Kastrationssymbol.

Abgesehen von mittelalterlichen Ritualen in Nonnenklöstern nahm die Weiberfastnacht – so heißt es – ihren Anfang in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Beuel (heute einer der vier Bonner Stadtbezirke). Die Wäscherinnen und Bleicherinnen hatten seinerzeit besonders harte Arbeitsbedingungen, auch während der Karnevalszeit, während die Männer, die die saubere Wäsche nach Köln zu transportieren hatten, dort mitfeiern konnten. Um sich allgemein über ihre schlechte Arbeitssituation austauschen zu können, gründete die genannte Frauengruppe das „Beueler Damenkomitee“. Der Rahmen dieser Gesprächsgruppe hielt länger als so manche politische Epoche Deutschlands, innerhalb derer die Damen jeweils agierten. Und einmal im Jahr, nämlich an jedem Donnerstag vor Karnevalssonntag (Tulpensonntag), nahmen sie sich das Recht heraus, auch als Frauen Karneval zu feiern. Seit 1958 wählt das Beueler Damenkomitee zudem alljährlich seine „Wäscheprinzessin“, die dann mit ihren Genossinnen (Möhnen samt Obermöhn) an Weiberfastnacht das Beueler Rathaus stürmt. Im Zuge dieser Veranstaltung ist keine Herrenkrawatte sicher!

Dies ist ein journalistischer Beitrag nach bestem Wissen und Gewissen. Der Recherchestand entspricht dem Veröffentlichungsdatum des Artikels.

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